In ihren gattungsübergreifenden Metamorphosen lassen sich die Werke von Jan Scharrelmann nicht ohne weiteres ästhetischen Kategorien zuordnen. In den ungegenständlichen Bildern und Skulpturen der Werkreihe "Enter Eleusys" werden Pigmente – in Epoxydharz fixiert – auf eine plane Fläche gegossen, mit einer stabilisierenden Schicht überzogen und, einmal ausgehärtet, von der Bodenplatte abgezogen. Das Bild baut sich in einem umgekehrten Malprozess auf, wird erst durch Trennung von Membrane und Harzschicht sichtbar. Insofern lassen sich die schichtweise aufgebauten Bilder als negative Malerei bezeichnen. Wird das Bild kraft seiner eigenen Statik jedoch im Raum aufgestellt und die vermeintliche Rückwand zu einer körperhaften, den Raum umschließenden Form, kippt die Fläche in die dritte Dimension.
Jan Scharrelmanns Kosmogonien tragen ungewöhnliche Titel. Hinter den Namen antiker Gottheiten verbirgt sich mehr als eine assoziative Erzählbrücke. Eros, Thanatos und Hypnos, Gott der Liebe, personifizierter Tod und sein Bruder, Gott des Schlafes, bergen wie Ovids Dichtkunst eine Ganzheit, in der sich ein Stück Ewigkeit spiegelt. In den Zerrbildern der spiegelnden Oberflächen macht der Betrachter die Erfahrung des auf-sich-zurückgeworfen-Seins. Diese basiert formal auf der Frontalität der Bilder, inhaltlich auf ihrer wesentlichen Leere. Die Leere, nach Baudrillard formalisiertes Zeichen des Raumes, lässt Materie atmen, sich bewegen und interagieren. In den schwarz spiegelnden Flächen der großformatigen Bilder verlockt sie geradezu.
Die monumentale Werkreihe offenbart ein alchimistisches Ansinnen im doppelten Sinne. Die weißen Interferenz-Pigmente entfalten ihre eigentliche Leuchtkraft erst vor einem Licht absorbierenden Hintergrund. Je nach Blickwinkel ändern sie ihre Farbigkeit. In Anspielung auf die Eleusinischen Mysterien des antiken Griechenland stellt Jan Scharrelmann die provokante These auf, Kunst als Erfahrungsmöglichkeit, als Initiation zu verstehen, ähnlich der geheimen Weiheriten, durch die man glaubte, an der göttlichen Macht teilzuhaben.
In ihrer Spiritualität sind die Bildkonstruktionen von Jan Scharrelmann mit Yves Kleins Vorstellung von Leere und Reinheit vergleichbar. Dieser setzte die sensibilisierende Kraft des Pigments ein, um Raum sinnlich erfahrbar zu machen. Hinter Yves Kleins formalem Purismus verbarg sich der Glaube an eine erlösende Kraft, die bei Jan Scharrelmann von einem Realitätsbewusstsein im Hier und Jetzt verankert wird und eine diesseitige Erfahrung eröffnet. Makel wie Dellen und ›fehlerhafte‹ Pigmentspuren sind Abdrücke einer in ihren Brüchen und Unzulänglichkeiten erlebten Gegenwart, an der sich das Bild letztlich misst.
"Enter Eleusys" verbindet sich in den Bildern Eros und Thanatos mit dem Mythos von Demeter und ihrer Tochter Persephone, deren Rückkehr aus dem Hades in die Welt der Lebenden in den Mysterien von Eleusis gefeiert wurde. Ihre Wiedergeburt steht symbolisch für die Wiedergeburt allen Lebens. Auf dieses tiefere Naturverständnis rekurriert die erotisch-sinnliche Farbstimmung der Bilder von Jan Scharrelmann. Die milchig rosé bis leuchtend violetten Splashes und eruptiven Ergüsse von Eros und Thanatos ereignen sich vor einem unendlichen, nahezu lichtlosen Raum, der in Bereichen in dunkles Grün changiert.
Die ekstatische Materie-Lache ändert nicht nur ihre Farbtonalitäten, auch ihr Aggregatzustand scheint einem ständigen Wandel unterworfen. Eine reliefartige Oberflächenstruktur, die nach hinten in die Leere des orbitalen Raumes ragt, assoziiert planetare Gesteinsformationen. In ihrer Fluoreszenz wirken die Farbverläufe wiederum wie elektrisch geladenes Plasma des Polarlichts. Insofern haben die gestochene Schärfe und intensive Leuchtkraft der Bilder von Jan Scharrelmann einen direkten Bezug zu medialen Alltagswelt und ihren elektronischen Fetischen.
Anders als die Bilder ist die frei im Raum stehende Skulptur Hypnos in einem all-over angelegt. Über die gesamte Fläche verteilt, lässt die von Grün ins Blau changierende Pigmentierung an ozeanische Strömungen denken. Auch wenn hier der antike Mythos mitschwingt – der Legende nach wohnte Hypnos in einer Höhle, durch die die Wasser des Lethe, des Stromes des Vergessens, flossen –, verhandelt die Skulptur an sich das Verhältnis der Bildfläche zum Raum. Gravitationskräfte konkurrieren mit statischen Kräften, so dass die Torsion an der äußeren Krümmung ein Beschleunigungsfeld erzeugt. Das Auge gleitet haltlos an dessen spiegelnder Oberfläche entlang. Die innere Krümmung ist hingegen wenig elaboriert. Rau und schwarz umhüllt die Fläche ein in sich ruhendes Volumen, schafft einen introvertierten Raum der Stille.
In Avaton, griechisch ›unzugänglich‹, dem goldenen Monolithen, findet Hypnos seinen Widerpart. Die Plastik erscheint in ihrer Kompaktheit und der chromatierten Oberfläche wie ein heiliger Gral. Insofern finden wir hier den Konnex zu Jan Scharrelmanns vorhergehender Werkreihe The Golden Chalice, in der Styropor als Bildträger eine zentrale Rolle spielte. Riffelungen und helle, kugelförmige Verunreinigungen deuten noch auf diesen Werkstoff hin, den reines Pigment und Epoxydharz – hier nun in blockhafter Verdichtung – abgelöst haben.
Heike van den Valentyn, 2007